Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jürgen Mohn, Universität Basel 29. Mai 2022, Basel

Prof. Dr. Jürgen Mohn (geb. 1963) ist Professor und doziert an der Universität Basel im Bereich Religionswissenschaft. Herr Mohn beschäftigt sich mit der allgemeinen und vergleichenden Religionswissenschaft und Religion in Erzählkulturen (Bsp. Comic) unter anderen Schwerpunkten. Im Jahr 2017 veröffentlichte er einen Artikel im Sammelband «Religion und Literatur – Konvergenzen und Divergenzen – über die Comic-Forschung. Sein Beitrag trägt den Titel «Gottes-Narrative im Medium Comic. Zur Religionsrezeption, Religionsproduktion und Religionsreflexion in Marc-Antoine Mathieus Dieu en personne».
Wer oder was beeinflusst unser Verständnis von «Religion»? Sind es kirchliche Institutionen, die Theologie? Können Comics beispielsweise zu unserem Verständnis von Religion beisteuern? Ich habe mit Prof. Dr. Jürgen Mohn über die Comicanalyse in der Religionswissenschaft gesprochen.
Das Interview wurde mündlich geführt und für die Verschriftlichung leicht editiert
Marc-Antoine Mathieu (geb. 1959) ist ein französischer Comicautor. Im Jahr 2009 brachte er den Comic Dieu en personne (dt.: Gott höchstselbst) heraus. Der Comic behandelt das plötzliche Erscheinen Gottes in einer Gesellschaft, die durch und durch medialisiert ist. Gott beschliesst Mensch zu werden und kommt auf die Erde. Seine Ankunft wird skeptisch aufgenommen: Gott hat keine Papiere. Schnell wird Gott zum Sündenbock für das Leid in der Welt gemacht und vor Gericht gebracht.
Herr Mohn interessiert sich für die Kunstform der Bande Dessinée (Comic aus dem französischsprachigen Raum; «frankobelgischer Comic»). Ihm ist aufgefallen, dass das Thema «Religion» in diesem Medium zunehmend bearbeitet wird – unabhängig dessen, was unter «Religion» verstanden wird. Herr Mohn meint damit, die Thematisierung von christlichen und anders religiösen Symbolen, von Thematiken wie den Tod oder die Geschichte des Helden, die zum Heilführt.
Jürgen Mohn hat versucht einen alternativen Ansatz für die Religionswissenschaft zu erarbeiten. Seine These ist, dass wir – die Religionswissenschaftler:innen – Comics analysieren sollen, die eine oder mehrere religiöse Thematiken bearbeiten und reflektieren. So steuern wir zum Verständnis von Prozessen der Reflexion von Religion in unserer Gesellschaft. Doch, wie soll das funktionieren? Ich habe mich mit Jürgen Mohn in seinem Büro an der Universität in Basel getroffen und ihn hierzu Fragen gestellt.
Wie geht eine solche Analyse?
Unsere Gesellschaft kennt eine lange Tradition der Beschäftigung mit Religion in der Literatur, im Film. Auch in Comics, obwohl sie bislang nicht unbedingt im Fokus religionswissenschaftlicher Analyse standen. Als Forscher, so Herr Mohn, werden wir neugierig, wenn Religion irgendwo präsent und lebhaft wird. Doch zuerst stellt sich die Frage, wie kommt Religion in den Comic rein? Herr Mohn sieht dafür drei Möglichkeiten: erstens, man kann fragen, wie sich die Autor:innen mit Religion auseinandersetzen; zweitens kann man den Comic als Objekt, als Produkt selbst untersuchen; und drittens kann man die Rezeption des Comics (als Medium, wie z.B. Filme) analytisch untersuchen.
Eines seiner Lieblingsautoren ist der eben genannte französische Comiczeichner Marc-Antoine Mathieu. Im Comic Dieu en personne versucht er explizit mit dem Mittel des Comics der Frage nachzugehen, wie reagiert die Gesellschaft, wenn Gott plötzlich erscheint? Was Herrn Mohn am meisten interessierte, war das Medium selbst. In diesem Comic wurde Religion thematisiert am Beispiel Gottes und dessen Erscheinung (oder dessen Offenbarung) in einer durchmedialisiertenGesellschaft. Das bedeutet, im Comic wird immer nur die mediale Sichtweise dieses Phänomens behandelt.
Religiöse Reflexionen
Eine solche religiöse Reflexion über Religion wird in der Regel von der Theologie übernommen. Nun ist es sehr interessant, wenn diese Aufgabe ausserhalb der Theologie reflektiert und publiziert wird. Das war der Ausgangspunkt für die Analyse des Comics. Herr Mohn fragte sich, wenn die Theologie als eine Art christlicher Reflexionsinstanz fungiert, wie ist denn ein adäquates Gottesverständnis in unserer heutigen Gesellschaft möglich und vermittelbar?
Könnte es sein, dass die Theologie und damit einhergehend die Kirche keine plausiblen Botschaften mehr bringen können? Und werden die Botschaften anderswo vermittelt? Man kann dann sehen, erklärt Herr Mohn, dass diese Botschaften eben auch – neben der Theologie – in Filmen oder Comics reflektiert werden.
Genau diese theologischen Reflexionen, die ausserhalb der Theologie stattfinden, sind für die Religionswissenschaft höchst spannend und wichtig. Für die Religionswissenschaft stellt sich hierzu die Frage, wie sie dieses Phänomen adäquat analysiert. Jürgen Mohn ist beispielsweise aufgefallen, dass «Gott» im Comic nie direkt frontal dargestellt wird, sein Gesicht ist immer verpixelt oder er wird von weitem dargestellt. Herr Mohn sieht hierin einen Umgang mit der Darstellbarkeit als möglichen Ansatz für die Analyse. Insofern, betont er, ist eine Medienanalyse am Objekt des Comics entbunden von dem, was sich der Autor oder die Autorin gedacht hat oder wie sie rezipiert wird. Der Comic wird, wie Herr Mohn erklärt, in seiner Potenzialität, also seiner Möglichkeit und in seiner Fähigkeit Religion anhand unterschiedlichster Themen zu behandeln, analysiert.
Religiöse Medien
Eine weitere Frage, die man sich stellen könnte, ist, ob der Comic Dieu en personne ein religiöses Medium ist. Herr Mohn erklärt, ein religiöses Medium kann man unterschiedlich verstehen. Es kann ein Medium(evt hier anders wort?) sein, worin Religion thematisiert wird – das wäre ein Religionsbezogenes Medium. Andererseits ist ein religiöses Medium ein Medium, dass nicht nur Religion thematisiert, aber auch in einem engeren Sinne an eine Religion gebunden ist. Das sind dann oftmals materiell wertvolle Bücher wie der Koran oder die Torah.
Der Comic ist kein religiöses Medium in diesem engeren Sinn. Nichtsdestotrotz stellt sich Herr Mohn die Frage, wenn sich die religiösen Medien wandeln und die Thematik in Büchern übergeht, die massenhaft produziert werden, sie in Bildern reproduziert werden und diese womöglich dadurch ihre Authentizität, ihre Einmaligkeit verlieren; ob sich dann in dem Wandel des religiösen Mediums in einer gewissen Weise nicht auch der Wandel von Religion spiegelt?
Am Beispiel der Kunstreligion könne man einen solchen Wandel erkennen, erklärt er. Kunst wurde meistens in Auftrag gegeben. Kirchliche und grössere Institutionen und Adlige stellten die Aufträge. Selten war ein Künstler selbständig. Der Begriff der Kunstreligion entstand um das 18./19. Jahrhundert. Die Kunstreligion ist eine künstlerische Ausdrucksform religiöser Inhalte gewesen. Ihre Entstehung deutet auf einen Diskurs hin, worin religiöse Gefühle oder die Vermittlung von religiösen Inhalten in der Kunst besser präsent seien als bspw. in der Predigt oder in theologischen Traktaten. In der Weise haben sich mehr und mehr Künstler selbständig an religiöse Themen gewagt. Im Laufe der weiteren Entwicklung der Reproduktion von Kunst, verändert sich auch der Umgang und die Reflexion. Kunst über Religion entkoppelt sich in einer gewissen Weise von institutioneller Religion.
Und trotzdem, sagt Herr Mohn, bleibt die Thematik «Religion» weiterhin vorhanden. Das ist dann wiederum spannend für die Religionswissenschaft. Mit einer Comicanalyse beispielsweise, liesse sich etwas über den Wandel von Religion sagen, ohne deswegen von Aussagen von Einzelpersonen und Gemeinschaften abhängig zu sein. Das ist ein Ansatz der Religionswissenschaft, der wichtig ist, um in der Gegenwart Religion aufzuspüren.
Literatur:
Mohn, Jürgen: Gottes-Narrative im Medium Comic. Zur Religionsrezeption, Religionsproduktion und Religionsreflexion in Marc-Antoine Mathieus Dieu en personne, in: Faber, R. und Renger, A.-B. (Hg.): Religion und Literatur. Konvergenzen und Divergenzen, Würzburg 2017, S. 341–360.
Weiterführende Links:
Prof. Dr. phil. Jürgen Mohn
https://religionswissenschaft.unibas.ch/de/personen/juergen-mohn/
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Instagram Konto der Fachgruppe Religionswissenschaft der Uni Basel
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Autor:
André Lourenço hat den Bachelor in Religionswissenschaft an der Universität in Bern im Jahr 2021 abgeschlossen. Er studiert jetzt im Master Religion in globaler Gegenwart, ebenfalls in Bern.