Ein Gespräch mit Prof. Oliver Krüger, Universität Fribourg April 2023, Fribourg
Professor Oliver Krüger ist Inhaber des Lehrstuhls für Religionswissenschaft an der Universität Freiburg. Der ausgebildete Soziologe beschäftigt sich seit seiner Doktorarbeit vor zwei Jahrzehnten mit dem Posthumanismus. Sein neuestes Buch, eine vollständig aktualisierte Ideengeschichte des Post- und Transhumanismus, Virtualität und Unsterblichkeit, erschien 2019. Ein besonderer Schwerpunkt in diesem Buch liegt darauf, wie sich Post- und Transhumanistinnen und Transhumanisten eine Zukunft vorstellen, in der die Menschheit eine virtuelle Unsterblichkeit erreicht hat – und woher diese Hoffnungen kommen.
Für viele scheint der Tod unausweichlich. Für die Anhänger*innen vieler Religionen gibt es auf die eine oder andere Weise die Idee eines Lebens nach dem Tod. Viele Post- und Transhumanistinnen und Transhumanisten hoffen jedoch auf eine andere Art von Unsterblichkeit: eine, die im digitalen Hochladen des Geistes zu finden ist. Was bedeuten Leben, Tod und Leben nach dem Tod im Posthumanismus? Genau dieser Frage geht dieses Gespräch mit Professor Krüger nach.
Das Interview wurde mündlich geführt und für die Verschriftlichung leicht editiert
Aus welchen Gründen könnten Menschen virtuelle Unsterblichkeit erlangen wollen?
Ich bin mir gar nicht sicher, ob die meisten Posthumanisten dieses Ziel tatsächlich für sich selbst vertreten. Aber wenn man futurologische Bücher schreibt, kann man in der heutigen Zeit ein gutes Business daraus machen. In meiner Studie habe ich das so formuliert: «The future never dies», die Zukunft stirbt nie. Als ich meine Doktorarbeit schrieb, das war so zwischen 1999 und 2003, dachte ich, dass dies ein Phänomen der Jahrtausendwende sei und dass in zehn Jahren kaum mehr jemand über den Post- und dem damit verwandten Transhumanismus sprechen wird. Jedoch habe ich schnell festgestellt, dass dem nicht so ist. Es entstanden immer wieder neue Netzwerke, wobei viele alte tatsächlich eingegangen sind. Dann ist mir klar geworden, dass man die Zukunft immer wieder, auch im Business, verkaufen kann. Da die Zukunft so unbestimmbar ist, ist sie gleichzeitig auch eine unendliche Ressource. Sie können immer neue Theorien, Erklärungen, warum etwas so geschieht oder warum etwas nicht so geschehen ist, wie sie gedacht haben, und so weiter, entwerfen. Dies also wäre die erste Ebene, welche zu erklären hilft, warum einige Autoren diese posthumanistischen Ideen entwickeln und vermarkten.
Dazu kommt, wie schon kurz angesprochen, dass hier ein riesiges Business dranhängt. Es gibt Konferenzen, veranstaltet von genau diesen Futurologen, in denen lauter grauhaarige Leute im Publikum sitzen und ihnen versprochen wird, dass wenn sie noch zehn weitere Jahre warten, die Anti-Aging Therapien, an welchen gearbeitet wird, genügend fortgeschritten sind, um Altersvorgänge rückgängig machen zu können. Und dann in wenigen Jahren sei diese Scan-Technologie da und dann könne man diese Leute für immer virtuell unsterblich machen. Bis dahin müssten jedoch die Kunden selbstverständlich weiter jene teuren Supplemente einkaufen oder in bestimmte Unternehmen investieren. Wir Religionswissenschaftler neigen ein wenig dazu, solche ökonomischen Aspekte ein auszublenden. Ich glaube, dies sollte man sich abgewöhnen und anfangen, das Ganze holistisch zu betrachten. Nun zur engeren Frage; «warum ist die virtuelle Unsterblichkeit attraktiv?». Es ist in der Tat eine Kontrolle von allem, was uns als Menschen ausmacht, in ganz vielerlei Hinsicht. Die Posthumanisten, dies sind alles Männer, schwärmen davon, dass zum Beispiel die unerwiderte Liebe damit als Problem wegfällt: dass, wenn sich also ein Mann unsterblich verliebt, dies natürlich nach der naiven Vorstellung, in die schönste Frau der Welt… diese wunderschöne Dame aber natürlich nichts von ihm wissen will und ihn zurückweisen würde. All dies kann man im virtuellen Dasein jedoch dann ganz einfach kontrollieren, da es programmierbar ist. Es gibt dann keine Enttäuschungen mehr. Sie können sich den Körper, welchen sie wollen, eigenständig aussuchen, als Avatar, als virtueller Körper. Sie sind allwissend, weil sie auf das gesamte Wissen des Internets, das gesamte Wissen, welches irgendwo digital gespeichert ist, Zugriff haben. Sie können sein, wo sie wollen. Sie sind omnipräsent, da sie sich ja über irgendwelche Netzwerke in eine Raumstation beamen oder sich auf dem Meeresgrund befinden können. Diese Idee der Allmacht und der Allgegenwart ist stark ausgeprägt bei diesen Posthumanisten.
Wo spielt da die Angst vor dem Tode hinein? Oder der Wunsch, immer noch mit seinen Geliebten zu interagieren? Sie haben schon angesprochen, dass man dann eben auch mit Menschen interagieren kann, mit denen man sonst nicht interagieren könnte. Aber das Diesseits, vielleicht die Bedürfnisse des Diesseits, wie spielen die da rein?
Ich glaube, dies ist ein Punkt, welcher bei den Posthumanisten jedenfalls nicht besonders ausgebaut und betont wird. Zum Beispiel, dass man mit seiner Familie dann für immer vereint sein könnte, dies wird eigentlich gar nicht betont. Es ist wirklich diese zentrale Idee, wie seine geistigen Leistungen ins Unendliche gesteigert werden können. Sie sind dann im Prinzip mit dem grössten Supercomputer der Welt verbunden und können dann alles machen was dieser Computer kann.
Dennoch spielt die Angst vor dem Tod für einige eine Rolle, beispielsweise auch für einige meiner Kontakte aus der transhumanistischen Bewegung, wie auch bei einem weiteren Vertreter des Posthumanismus, Raymond Kurzweil, welcher lange Zeit Google Chefingenieur gewesen ist, er ist jetzt auch schon Mitte 70. Er ist bekannt dafür, das gibt er auch in jeglichen Interviews preis, dass er über 80 Vitaminpillen pro Tag zu sich nimmt. Also versucht er mit der Einnahme von Supplementen noch die Zeit, wenn die technische Unsterblichkeit möglich sein sollte, zu erleben. Viele in dieser Bewegung haben auch einen Vertrag mit Kryonik-Anbietern. Kryonik ist in den 1960er Jahren in den USA entstanden. Heute gibt es noch drei solche Unternehmen weltweit, die Tote einfrieren: entweder den Kopf oder den ganzen Körper, was etwas teurer ist. Es gibt auch einige Fälle, bei denen nur das Gehirn eingefroren wird. Dafür zahlt man dementsprechend auch ordentlich. Wir bewegen uns im Rahmen von 50.000 bzw. 120.000 bis 140.000 Tausend Dollar. Dafür haben sie dann angeblich die Garantie, dass ihre Leiche in Stickstoff gekühlt, Jahrzehnte überdauern soll und in einer zukünftigen Zeit, wenn die Medizin weiter fortgeschritten ist, auferweckt werden soll. Das wird als Brückentechnologie verstanden, bis zu dem Zeitpunkt, an welchem die echte Unsterblichkeit zur Verfügung steht.
Unsterblichkeit war ja eigentlich vor allem immer Thema der Religion. Wie verändert sich das Wirken von Religion gerade bei Menschen, die sich mit virtueller Unsterblichkeit befassen?
Die Feuerbach’sche Religionskritik[1] der Posthumanisten lautet eigentlich, dass die Religion dieses Thema nur verklärt und das eigentliche Problem jedoch nicht löst: das Problem des Todes. Unsere Posthumanisten sind, wie schon erwähnt, alles strikte Materialisten. Es gibt keine Seele. Und das bedeutet, sie brauchen eine andere Lösung, eine ohne Seele, die eine materielle Kontinuität voraussetzt.
Das heisst, es ist eigentlich überhaupt gar nicht vereinbar mit z.B. dem Christentum? Kann man das irgendwie vereinbar machen oder ist das sehr strikt getrennt, also gewissermassen wie eine neue Religion?
Das ist ein schwieriges Thema. Yuval Harari schlägt dies in seinem Buch «Homo Deus» vor, dass die künstliche Intelligenz die neue Religion unseres Zeitalters werden könne. Ich glaube jedoch, das ist nochmal was anderes: der Glaube, dass künstliche Intelligenzen eben alle Menschheitsprobleme lösen könnten. Ich denke nicht, dass man das als Religion bezeichnen kann. Ich kenne auch niemanden, der da ernsthaft einen Kult um dieses Thema herum aufbaut, ausser als irgendein reines Medienphänomen.
Nun die andere Frage, ob dies vereinbar sei. Das ist ja eigentlich eine dogmatische Frage. Haben wir Glaubensansichten eines Posthumanismus, und dann, mit wem ist dies vereinbar? Also wenn Sie nur schon nach dem Christentum fragen, wird es schon schwierig. Aber das ist nun auch wieder das Spannende. Es gibt viele Elemente, auch christlich geprägte, wie zum Beispiel die Heilsgeschichte, die von Posthumanisten rezipiert wird: Es gibt zwei Posthumanisten, die explizit eine ganze kosmische Heilsgeschichte entwerfen, an deren Ende die Verwirklichung Gottes steht. Das sind Frank J. Tipler und Raymond Kurzweil. Da rezipieren sie Ideen aus heilsgeschichtlichen Entwürfen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, die teils von einem Jesuiten namens Pierre Teilhard de Chardin entworfen wurden. Die Frage, ob es vereinbar oder nicht ist, ist vielleicht die falsche Frage. Besser wäre die Frage, wie das Entanglement, die Verknüpfung, zwischen diesen beiden Ebenen hergestellt wird, dazu kann man viele Aspekte aufzeigen. Aber es gibt ja keinen wissenschaftlichen Massstab, um zu entscheiden, ob es vereinbar oder nicht vereinbar ist, nur einen dogmatischen.
Als letzte Frage nun noch: Aus religionswissenschaftlicher Perspektive, welche Aspekte untersuchen Sie da genau?
Mich interessiert, wie das Ganze historisch einzuordnen ist. Zuerst denkt man, der Posthumanismus sei eine völlig radikale und ganz neue Idee. Der Mensch wird im Computer unsterblich. Aber wenn man dann genauer hinschaut, sieht man, dass dies in einer sehr langen geschichtlichen Entwicklung einbettet ist, mindestens seit der Aufklärung: Indem man Fortschritt begrüsst hat, indem man gedacht hat, dass mit dem zunehmenden Fortschritt auch die Lebenszeit des Menschen immer länger wird. So um 1800 gibt es dann zum ersten Mal einige Philosophen, die mit der Idee liebäugeln, dass es vielleicht einmal ein Zeitalter geben wird, in dem der Mensch gar nicht mehr sterben muss, also nicht mehr natürlich sterben muss. Sie sind dann noch nicht unsterblich, jedoch schon nah dran. Dann entwickelt sich dies immer weiter. Wenn man das genauer betrachtet, entwickeln sich diese Ideen, zuerst in der phantastischen und danach in der Science-Fiction Literatur, stets weiter. Das ist äusserst spannend und dies geschieht dann parallel zu sogenannten Fortschrittsphilosophien, von denen viele, vor allem im englischen Sprachraum, christlich geprägt waren.
Wenn man all dies alles in Betracht zieht, scheint einem dieser ganze Posthumanismus gar nicht mehr so aussergewöhnlich. Und da sieht man dann auch, wie ein Fuss, auf dem sie stehen, eine sehr christlich geprägte Fortschrittsgeschichte ist. Heute kommen dann auch noch die Theologen ins Spiel, die dieses Thema nun entdeckt haben. Seit einigen wenigen Jahren, gibt es da von ihrer Seite aus einige Arbeiten und Publikationen. Diese sind dann oft sehr apologetisch, also mit der Message, «Post-/Transhumanismus: Nein, Danke!». Darin verteidigt man ein christliches Menschenbild, dies ist für mich aber grösstenteils ein Schattenboxen, da es «den» Trans-/Posthumanismus gar nicht gibt. Wir können uns mit verschiedenen realen Zukunftstechnologien oder mit einem bestimmten Menschenbild, das einige dieser Vertreterinnen und Vertreter ausdrücken, auseinandersetzen. Insgesamt ist es ein sehr schwieriges Thema. Theologie bringt sich mit Zukunftstheorien wieder ins Gespräch und gewinnt damit auch ein starkes Publikum. Da erscheinen diese neuen Ideen plötzlich als nächste grosse Gefahr und dann wird dies vermischt mit den tatsächlichen Zukunftstechnologien, wie mit der künstlichen Intelligenz, welche jetzt in aller Munde ist. Ich denke jedoch, dass man als Kulturwissenschaft, die verschiedenen Aspekte schon sehr klar ausdifferenzieren muss.
[1] Feuerbach’sche Religionskritik: Gott sei bloss eine Projektion des Menschen. Alle positiven Aspekte werden auf Gott projiziert, alle negativen auf den Mensch.
Literatur:
Krüger, Oliver: Virtualität und Unsterblichkeit: Gott, Evolution und die Singularität im Post- und Transhumanismus. Freiburg i.Br. 2019. Open access: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783968216737.pdf
Krüger, Oliver: Virtual Immortality – God, Evolution, and the Singularity in Post- and Transhumanism. Translated by Ali Jones and Paul Knight. Bielefeld, 2021.
Autor:
Das Interview führten Deniz Isik, Leah Willi und Nicola Wolf. Zum Zeitpunkt des Interviews waren alle drei Studierende der Universität Bern mit Interesse an Religionswissenschaft.